Ein Haus am See. Ein langer Steg. Das ruhige und dennoch beständige Säuseln des Windes. Die letzten Sonnenstrahlen des Tages. Ein gutes Buch. Augen geschlossen. Ein Leben im Einklang mit der Natur. Ohne Stress. Ohne den Lärm. Ein Leben, wie im Film. Davon träume ich.
Ich öffne die Augen und mein Leben sieht völlig anders aus: Traumszenario versus Real Life. Tag für Tag lasse ich mich einnehmen von immer länger werdenden to do lists und dem unguten Gefühl nicht genug getan zu haben. ‘Rest‘ ist ein Fremdwort. Im wahrsten Sinne des Wortes. Weitermachen, einfach weitermachen. So lautet das Motto und es fährt mich sicher von Hafen zu Hafen. Aber ich lege nicht an. Die Vorräte werden nicht aufgefüllt und das Wasser wird knapp. Es ist wie ein Drang sich selbst die hohe See beweisen zu wollen. Brausende Wellen? Kein Problem. Starker Regen? Kinderleicht. Endlose Weite? So soll es sein — oder eben nicht.
Ich habe immer davon geträumt ein gesundes Leben zu führen und mich gleichzeitig geweigert es nicht in meinem Alltag finden zu können. Es muss hier irgendwo sein. Das Boot ist nicht für den Hafen gebaut, aber es muss ihn kennen, denn da kommt es her. Der Ort des Vertrauens liegt in der Stille des Ruhens, nicht in den Wogen der Wellen. Wie aber schafft man es nun ein unsanftes Schiff an einen entfernten Hafen zu geleiten, ohne ihm den Wind aus den Segeln zu nehmen?
Nun, dieser Frage gehe ich seit einiger Zeit auf den Grund.
Zuallererst einmal muss ich sagen, dass ich ein Meister darin bin vom Pferd zu fallen. Und zwar auf beiden Seiten. Einmal denke ich mir, dass ich immerzu etwas verpassen könnte. Man würde vielleicht sagen: „Ach, diese junge Frau hat einfach Lust auf Abenteuer. Ihr Leben ist nun mal wild und ungezähmt, was kann man da schon machen.“ Aber wenn man aus Angst etwas nicht erlebt zu haben über seine Grenzen geht, dann ist das gewiss nicht weise. Ein anderes Mal frage ich mich dann, was das wohl alles bringen mag und ob es nicht viel schlauer wäre, seinen Eifer niederzulegen und sich der völligen Gleichgültigkeit auszusetzen. Beides übertrieben. Beides lächerlich. Und dennoch entwickeln sich diese Gedanken zu Mustern und bepflastern die Wände meines Herzens.
Wie also kommt es nun zu meinem erträumten Tapetenwechsel?
Eine Sache, die ich in letzter Zeit lernen durfte ist, dass ich keine Angst vor der Realität meines Seins haben muss. Ganz oft lasse ich mich von Gedanken irreführen, die mir sagen wollen, dass es da draußen eine bessere Realität gibt und ich durch genug Anstrengung eventuell die Chance hätte sie zu finden und dann eventuell sogar die Chance in ihr zu leben. Diese Gedanken klingen verlockend, führen aber dazu, dass ich ständig davon ausgehe, dass meine aktuelle Realität nicht ausreicht und somit ‘invalid', also ungültig, ist. Ich schiebe mich selbst ins Aus und deklariere das Schach matt, noch bevor ich festgelegt habe, dass ich dieses Spiel überhaupt nicht spielen will. Eine Tapete, die ich hier dringend abreißen muss, ist der Glauben an eine Welt, einen Zustand, ein Gefühl oder ein Leben, welches erstrebenswerter ist, als mein aktuelles. Wenn mein Gefühl sagt, dass eine bessere Welt auf mich wartet, dann bedeutet dies, dass meine gegenwärtige Welt nicht gut genug ist. Wenn ich ehrlich bin, setzt mich dieses Gefühl extrem unter Druck. So möchte ich eigentlich nicht leben.
Ich denke, dass es wichtig ist, den richtigen Sitz im Sattel zu finden. Vom Pferd fällt eine Person, die nicht fest sitzt. Daraus ergeben sich folgende zentrale Fragen:
1) Was also ist der entscheidende Baustein, um im Sattel zu bleiben?
2) Welche Fähigkeit muss ich erlernen, um die Balance zu halten und erfolgreich Haltung zu bewahren?
Zu allererst habe ich gelernt, dass ich meinen Sattel auflegen muss. Einen großen Teil meiner Gedanken verschwende ich damit, andere auf ihrem Weg zu bewundern und ihnen nachmachen zu wollen, wie sie Erfolg leben. Vorbilder sind zwar gut und wichtig, dennoch geht es nicht darum ihre Ausrüstung zu übernehmen und davon auszugehen, dass mein Sitz genauso sicher darin sein wird. Was könnte möglich sein, wenn ich beginnen würde zu glauben, dass ich ein ‘custome made‘ Leben verdient habe? Ein Original — nicht eine mehr oder weniger gute Kopie eines Anderen.
Nun, mit dieser Erkenntnis bin ich langsam bereit meinen eigenen Sattel — und somit meine Berufung — zu entdecken und will auch lernen ihn einzusetzen. Vielleicht denkst du gerade: Moment mal, der Sattel ist die Berufung? Ich dachte das Pferd wäre die Berufung? Glaube mir, das hab ich auch lange gedacht. Aber was machst du, wenn deine Berufung nicht so funktioniert, wie du es dir vorgestellt hast? Was, wenn du jahrelang suchst. Das würde im Umkehrschluss bedeuten, dass du nicht mal ein Pferd hast. Und das stimmt nicht. Berufung ist ein wichtiger Teil deines Lebens. Aber sie ist nicht alles. Sie qualifiziert dich nicht, ein optimales Leben zu führen, beziehungsweise überhaupt ein lebenswertes Leben zu führen. Ich weiß, die ganzen Metaphern werden langsam verwirrend, aber nur als kleine Referenz: auch das Boot von dem ich vorher sprach ist nicht deine Berufung. Die Segel sind deine Berufung. Das Boot — dich — gibt es auch so. Just saying. Und wenn wir schon dabei sind Metaphern zu erklären: Die Wände deines Herzens, nun ja, die Tapete ist hier die Berufung, nicht die Wand selbst....
Aber vorerst hierher zurück: ich habe nun also meinen ganz eigenen Sattel und weiß, dass es nur damit funktionieren wird, denn er ist wie für mich gemacht. Jemand hat sich verdammt viel dabei gedacht, als er den Sattel herstellte. Jemand hatte mich bereits vor Augen, wie ich in diesem Sattel sitzen werde.
Besonders während des letzten Jahres habe ich folgendes gelernt:
1) Der entscheidende Baustein, um im Sattel zu bleiben, ist GNADE.
2) Die Fähigkeit, die ich erlernen muss, um die Balance zu halten und erfolgreich Haltung zu bewahren, ist die Fähigkeit diese GNADE auf mein Leben anzuwenden.
Schließlich hatte ich gehofft, dass ich diesen Artikel zu einem Zeitpunkt schreiben werde, an dem ich meine Fähigkeiten vollständig erprobt habe und erfolgreich anwenden kann. Wenn ich ehrlich bin, habe ich vor einiger Zeit angefangen, diese Zeilen zu schreiben und bin dann in eine Art Blockade geraten. Plötzlich wollte und konnte ich nicht weiterschreiben, da ich nicht wusste, was ich sagen sollte. Ich hatte noch nicht das Gefühl, angekommen zu sein. Ich dachte, dass ich diese Zeilen noch nicht zu Ende schreiben sollte, da ich noch nicht so sicher im Sattel bin, wie ich es gerne wäre. Mein Segel setze ich auch noch nicht so recht zur richtigen Zeit und mit dem Tapezieren bin ich auch noch nicht fertig.
Aber dann, war es Zeit, dass ich meine eigenen Worte lebte!
Ich schreibe also diese Zeilen und lerne was es heißt, gnädig mit mir selbst zu sein. Hoffentlich inspiriert dich dieser Einblick in mein Leben, ebenfalls Reitstunden zu nehmen. Ich kann dir sagen, die Aussichten sind gut. Es lohnt sich.
Immer und immer wieder denke ich an das Haus am See. Und den langen Steg. Der Traum vom Anfang dieses Artikels. Und hey, ich werde dort ankommen. Ganz bestimmt. Aber bis dahin, falle ich vielleicht noch das ein oder andere Mal vom Pferd. Oder ich benutze aus Versehen den falschen Kleister für meine Wand. Und sowieso weiß ich noch nicht alles über die hohe See. Und das ist auch okay. Ich lerne, dass ich hier sitzen kann und diese Worte schreiben, auch ohne die perfekte Erfolgstory. Und wer weiß, vielleicht berichte ich euch eines Tages von der Erkenntnis, dass ich gar kein Leben wie im Film brauche, um den Film meines Lebens zu leben — aber das, wäre nun wirklich eine ganz andere Geschichte.